Executive Summary
AI ist in der Finanzbranche angekommen, doch ihr Beitrag zur operativen Exzellenz bleibt in vielen Fällen hinter den Erwartungen zurück. Die Ursachen liegen nicht in der Technologie, sondern in fehlender Struktur, mangelnder Prozessreife und unklarer Zieldefinition. Wer Wirkung erzielen will, muss zunächst erkennen, in welchen Bereichen der Einsatz von AI tatsächlich sinnvoll ist und wo sie keinen Mehrwert bietet.
Dieses Whitepaper zeigt, wie sich Prozesse in vier typische Gruppen einteilen lassen: das Kundenmassengeschäft, interne Standardprozesse, beaufsichtigte oder wissensintensive Abläufe. Diese Kategorien unterscheiden sich deutlich hinsichtlich Reifegrad, Standardisierung, regulatorischer Anforderungen und AI-Potenzial. Genau diese Unterschiede sind entscheidend für eine gezielte Priorisierung von AI-Initiativen.
Im Mittelpunkt steht der Grundsatz: Erst Prozesse optimieren, dann AI integrieren. Technologie kann nur dort wirksam sein, wo Prozesse stabil geführt und informationsbasiert steuerbar sind. Ausgehend von dieser Logik beschreibt das Whitepaper ein strukturiertes Vorgehen, das von der Standortbestimmung über die Auswahl geeigneter Anwendungsfälle bis zur methodischen Umsetzung in den Phasen Pilot, Skalierung und Integration reicht.
Der Ansatz folgt keinem Hype, sondern betont Substanz, Wirkung und Steuerbarkeit. So wird AI nicht zum Selbstzweck, sondern zum gezielten Hebel für operative Exzellenz.
1. Einleitung: AI ist angekommen, doch der konkrete Nutzen erreicht oft nicht die Erwartungen
AI ist längst kein Zukunftsthema mehr. In vielen Unternehmen kommen heute Modelle zum Einsatz, die Texte generieren, Dokumente analysieren, Anfragen beantworten oder operative Entscheide vorbereiten. Was noch vor wenigen Jahren experimentell wirkte, ist mittlerweile technologisch ausgereift und breit verfügbar. Dennoch bleibt der konkrete Nutzen in vielen Fällen hinter den Erwartungen zurück. Die Ursachen liegen dabei selten in technischen Defiziten, sondern häufig in fehlender Prozessklarheit, unpräziser Zieldefinition oder mangelnder Umsetzung über das Pilotierungs-Stadium hinaus. (1,2)
AI entfaltet ihren Wert nur dort, wo Struktur vorhanden ist. Also dort, wo Prozesse stabil laufen, Informationen verfügbar sind und Verantwortlichkeiten klar geregelt sind. Was vielerorts fehlt, ist nicht der Innovationswille, sondern eine systematische Herangehensweise oder organisationale Guidelines zum Einsatz von AI. Die entscheidende Frage lautet nicht, in welchen Bereichen der Einsatz von AI theoretisch möglich wäre, sondern in welchen Kontexten sie in der Praxis tatsächlich Wirkung entfalten kann.
Dieses Whitepaper liefert eine fundierte Antwort auf genau diese Frage. Es zeigt auf, wie sich Prozesse entlang zentraler Kriterien wie Frequenz, Standardisierung, regulatorischem Druck und Wissensintensität einordnen lassen. Denn diese Merkmale bestimmen, ob AI automatisieren, assistieren oder schlicht keine Rolle spielen sollte.
Im Mittelpunkt steht der Gedanke, dass operative Exzellenz nicht durch Technologie entsteht, sondern durch konsequente Priorisierung. Wer AI ohne Prozesslogik einsetzt, erhöht den Komplexitätsgrad, aber nicht die Qualität. Der Weg zu produktivem Einsatz führt nicht über mehr Technologie, sondern über bessere Entscheidungen.
2. AI als Enabler operativer Exzellenz: Technologien, Anwendungen und Voraussetzungen
Ein Kunde reicht online einen Schadensfall bei seiner Versicherung ein. Sekunden später bewertet ein oder mehrere Modelle automatisch den Fall, prüfen die Informationen auf Vollständigkeit und leiten bei klaren Ergebnissen direkt die Zahlung ein. Was zunächst futuristisch wirkt, ist in vielen Bereichen bereits Realität, sofern Prozesse, Technologie und Daten reibungslos zusammenspielen.
AI bietet zahlreiche Hebel zur Optimierung operativer Abläufe. Sie automatisiert Prozesse indem sie Entscheidungen unterstützt oder fällt, Muster in grossen Datenmengen erkennt und personalisierte Kundeninteraktionen ermöglicht. Dadurch trägt AI nicht nur zur Beschleunigung bei, sondern sorgt zugleich für mehr Struktur, insbesondere in einem Umfeld mit wachsenden regulatorischen Anforderungen und steigenden Kundenerwartungen.
Die technologischen Grundlagen von AI lassen sich in mehrere, nicht überschneidungsfreie Kategorien gliedern, darunter sowohl methodische Ansätze als auch typische Anwendungsbereiche:
- Machine Learning (ML) bildet die Basis für Prognosen, Klassifikationen und datenbasierte Entscheidungen.
- Natural Language Processing (NLP) analysiert unstrukturierte Sprache, zum Beispiel in E-Mails, Vertragstexten oder regulatorischen Dokumenten.
- Computer Vision analysiert und verarbeitet visuelle Informationen in Bildern oder Videos.
- Generative AI erzeugt Inhalte wie Texte, Bilder oder Code und ist besonders dort relevant, wo Wissen dynamisch erschlossen und aufbereitet werden muss.
- Reinforcement Learning (RL) ist eine Methode des Machine Learnings, die sich für Entscheidungen in komplexen, dynamischen Systemen mit Feedbacklogik eignet.
- Predictive Analytics nutzt bestehende Daten zur Vorhersage von Prozessverhalten, Kundenreaktionen oder operativen Risiken.
In unserer Beratungspraxis bei Banken und Versicherungen zeigt sich die Bandbreite möglicher Anwendungen bereits deutlich: intelligente Chatbots beantworten im Kundendienst einfache Anfragen rund um die Uhr und entlasten so die Serviceeinheiten. In der Schadenbearbeitung klassifizieren AI-Modelle eingehende Fälle automatisiert und ermöglichen eine regelbasierte Dunkelverarbeitung. Im Backoffice prüfen Systeme Dokumente auf Vollständigkeit, extrahieren Daten, führen Abgleiche durch und reduzieren Fehlerquoten. Auch im Risikomanagement kommt AI zum Einsatz, etwa bei der Erkennung verdächtiger Muster in Transaktionen oder zur Unterstützung von KYC-Prozessen. Generative Modelle werden genutzt, um regulatorische Texte zu analysieren, individuelle Kundeninteraktionen vorzubereiten oder Entscheidungsvorlagen im Underwriting und Vertrieb zu erstellen.
Gleichzeitig gilt: AI ist kein Plug-and-Play. Ihr Potenzial entfaltet sich nur unter klaren Voraussetzungen, bei definierten Prozessen, strukturierter Datenlage mit hoher Qualität und Verfügbarkeit sowie ausreichender organisatorischer Reife. Technologie allein genügt nicht. Es braucht ein ganzheitliches Vorgehen, das Technologien, Prozesse und strategische Ziele systematisch miteinander verknüpft. Besonders entscheidend ist dabei die Datenbasis: Sind die relevanten Informationen verfügbar, aktuell, strukturiert, von ausreichender Qualität und nutzbar (bspw. hohe Sensibilität oder Datenschutz)? Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann AI in der Praxis Wirkung entfalten.
3. Wo AI am meisten bewirken kann: Prozesslogik als Priorisierungshilfe
Nicht jeder Prozess stellt den gleichen Hebel für den produktiven Einsatz von AI dar. Das Potenzial ergibt sich dort, wo hoher Nutzen auf geringen Aufwand trifft, also dort, wo Automatisierung mit überschaubarem Risiko machbar ist und klaren Mehrwert liefert.
Massgeblich sind dabei strukturelle Eigenschaften wie Prozessfrequenz, Standardisierungsgrad, Datenverfügbarkeit, Expertenabhängigkeit und regulatorische Relevanz. Prozesse mit hohem Volumen, klaren Regeln und gut strukturierten Daten eröffnen oft einen schnellen Zugang zu produktiven AI-Anwendungen. Umgekehrt sind unregelmässige, stark wissensbasierte oder rechtlich besonders sensible Prozesse deutlich anspruchsvoller, nicht nur technologisch, sondern auch im Hinblick auf Governance, Transparenz und Akzeptanz.s
Aus diesen Eigenschaften ergibt sich, ob AI einen Prozessschritt automatisieren kann, lediglich unterstützend wirkt oder vorerst keinen sinnvollen Beitrag leistet. Wer AI gezielt einsetzen will, sollte Prozesse entlang dieser Kriterien analysieren. Entscheidend ist dabei nicht die technische Perspektive, sondern der Blick auf Wirkung, Reifegrad und Umsetzbarkeit.
In unserer Beratungspraxis beobachten wir oft, dass Unternehmen unsicher sind, wie sie den Einstieg in AI gestalten sollen. Immer wieder stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, mit komplexen Prozessen zu beginnen, auch wenn deren Strukturen noch nicht stabil oder ausreichend nachvollziehbar sind. Gleichzeitig erleben wir, dass AI-Initiativen manchmal losgelöst vom konkreten Geschäftsnutzen geplant werden. Solche Unsicherheiten können dazu führen, dass Projekte ins Stocken geraten oder nicht die erhofften Ergebnisse liefern. Deshalb braucht es einen klaren Priorisierungsrahmen, um die „low-hanging fruits“ systematisch zu identifizieren.
Im nächsten Kapitel zeigen wir, wie sich typische Prozesskategorien im Finanzsektor entlang dieser Kriterien einordnen lassen und wo die grössten Chancen für AI liegen.
4. Prozesskategorien im Überblick: differenziert denken, gezielt priorisieren
Ein pauschaler AI-Ansatz greift zu kurz. Prozesse unterscheiden sich grundlegend in Struktur, Frequenz, Anforderungen und Reife. Wer wirkungsvoll priorisieren will, muss diese Unterschiede verstehen und systematisch berücksichtigen.
Aus unserer Beratungspraxis lassen sich Prozesse im Finanzsektor in vier typische Gruppen einteilen. Sie unterscheiden sich deutlich in ihrer Ausgestaltung und der Reife für den AI-Einsatz und sind damit ein zentrales Instrument zur strategischen Priorisierung. Denn nicht jede Technologie passt zu jedem Prozess.
Das Kundenmassengeschäft bildet den Kern vieler AI-Initiativen. Es umfasst standardisierte, hochfrequente Prozesse mit direktem Kundenkontakt, beispielsweise in der Schadenbearbeitung, bei Antragsstrecken oder bei einfachen Serviceanfragen. Diese Prozesse sind prädestiniert für den produktiven Einsatz von AI. Chatbots und Sprachverarbeitung unterstützen im Kundendialog, Machine-Learning-Modelle ermöglichen Dunkelverarbeitung und Vorhersagen, Recommendation Engines sorgen für personalisierte Angebote. In Kombination mit Robotic Process Automation (RPA) entstehen automatisierte End-to-End-Lösungen, die Kunden, Mitarbeitenden und der operativen Effizienz unmittelbar zugutekommen. Zunehmend gewinnen dabei auch agentenbasierte Systeme an Bedeutung. Agentic AI verfolgt das Ziel, KI-Anwendungen zu entwickeln, die eigenständig Aufgaben analysieren, planen und über mehrere Schritte hinweg ausführen können.
Die Internen-Standardisierten betreffen strukturierte und gemanagte Prozesse ohne direkten Aussenbezug, beispielsweise in IT-Services oder HR. AI trägt hier zur Effizienzsteigerung, besseren Ursachenanalyse oder gezielten Steuerung bei. Zum Einsatz kommen Klassifikationsmodelle für Tickets, ML-basierte Zufriedenheitsanalysen, automatische Texterstellung für interne Kommunikation sowie Dashboarding-Lösungen der Personalauslastung auf Basis prädiktiver Modelle. In der Finanzwelt hat sich der Einsatz grosser Sprachmodelle zur automatisierten Beantwortung interner Richtlinienanfragen, das sogenannte Ask-your-policy, als praxisnaher und wirkungsvoller Einstieg in AI-Projekte bewährt.
Die Beaufsichtigten sind Prozesse mit hoher regulatorischer Relevanz und geringer Frequenz, etwa der Jahresabschluss oder die Risikoberichterstattung. Hier steht die Einhaltung von Vorschriften und inhaltliche Richtigkeit im Vordergrund. Automatisierung in diesen Prozessen muss höchsten Anforderungen an Nachvollziehbarkeit, Auditierbarkeit und Governance genügen. AI kann punktuell unterstützen, etwa durch Anomalieerkennung mittels Machine Learning oder durch automatische Reportvorbereitung auf Basis von Natural Language Processing. In begrenztem Umfang kann auch Generative AI zur strukturierten Textvorbereitung beitragen, allerdings nur unter enger fachlicher und technischer Kontrollen und im Rahmen eines Human-in-the-Loop-Ansatzes. Die FINMA betont in ihrer Aufsichtsmitteilung 08/2024 die Bedeutung klar definierter Verantwortlichkeiten, dokumentierter Modelle und einer angemessenen Risikosteuerung beim Einsatz von KI in regulierten Prozessen. (3)
Die Experten umfassen wissensintensive, seltene Prozesse wie Legal, Strategie oder Portfolioplanung. Der kreative und kontextabhängige Charakter dieser Tätigkeiten erschwert eine direkte Automatisierung. AI kann jedoch gezielt entlasten, zum Beispiel durch strukturierte Datenaufbereitung, thematische Zusammenfassungen oder Textentwürfe mithilfe von Generative AI und NLP. Auch semantische Suchfunktionen oder vektorbasierte Informationsmodelle können Effizienzgewinne ermöglichen. Der Mehrwert liegt weniger in Geschwindigkeit als in verbesserter Qualität und reduzierter kognitiver Belastung. Auch semantische Suchfunktionen oder vektorbasierte Informationsmodelle tragen dazu bei, die inhaltliche Qualität zu verbessern und die kognitive Belastung zu reduzieren.
Diese Kategorisierung ersetzt keine Einzelfallprüfung, schafft aber eine erste Orientierung, wo sich AI-Projekte sinnvoll starten lassen und wo gezielte Vorbereitung notwendig ist. In Verbindung mit einer AI-Strategie auf Organisationsebene unterstützt sie dabei, Wirkung systematisch aufzubauen statt nur vereinzelt zu experimentieren. Sie macht auch sichtbar, in welchen Bereichen AI derzeit nicht sinnvoll eingesetzt werden kann. Das betrifft insbesondere Prozesse mit unklaren Strukturen, fehlender Datenbasis oder hohem Bedarf an menschlicher Urteilsfähigkeit, etwa bei ethischen, rechtlichen oder strategischen Entscheidungen
5. Von der Analyse zur Umsetzung: Schritt für Schritt zum produktiven AI-Einsatz
5.1. Prozesse zuerst optimieren und dann AI implementieren
Der erste Grundsatz jeder wirksamen AI-Initiative lautet: Technologie folgt dem Prozess – nicht umgekehrt. AI kann nur dort sinnvoll eingesetzt werden, wo Prozesse bereits klar strukturiert, stabil geführt und operativ steuerbar sind. Deshalb steht zu Beginn jeder Initiative die Analyse und, wo nötig, die Optimierung des Zielprozesses. Medienbrüche, unnötige Schleifen, Intransparenz oder fehlende Verantwortlichkeiten müssen zuerst beseitigt werden, bevor ein technischer Mehrwert überhaupt denkbar ist.
Hier sollte auch geprüft werden, ob zeitnah eine grössere Veränderung im Prozessablauf respektive ein Business Process Reengineering ansteht (bspw. neue Regulatorik, neue Technologie, Veränderung des Beratungsansatzes). Diese würden den Einsatz der AI-Lösung zeitlich begrenzen und die Wirtschaftlichkeit zunichte machen.
Diese Prozessarbeit ist kein Rückschritt, sondern die Grundlage für alles Weitere. Sie entscheidet über Datenqualität, Automatisierungspotenzial und Reifegrad. Nur optimierte Prozesse sind AI-würdig.
5.2 Prozesslage analysieren: Voraussetzungen und technologische Eignung prüfen
Bevor konkrete Projekte definiert werden, ist eine fundierte Einschätzung erforderlich, ob und in welcher Form der Einsatz von AI überhaupt sinnvoll ist. Im Zentrum steht dabei nicht die Technologie an sich, sondern der konkrete betriebliche Kontext.
In bestimmten Fällen lassen sich dieselben Ziele, wie zum Beispiel Effizienzsteigerung oder Fehlervermeidung, auch mit klassischen Mitteln erreichen, sofern die Prozesse klar strukturiert und deterministisch aufgebaut sind. Dazu gehören zum Beispiel solide Schnittstellenarchitekturen, regelbasierte Entscheidungslogiken, Robotic Process Automation oder gezielte Softwareanpassungen. Auch moderne Low-Code- und No-Code-Plattformen bieten vielfältige Möglichkeiten zur Prozessautomatisierung, ohne die Komplexität eines AI-Projekts zu erfordern. Hinzu kommen Integrationslösungen wie API-Gateways oder iPaaS-Tools, die insbesondere in heterogenen Systemlandschaften einen pragmatischen Zugang zur technischen Optimierung ermöglichen.
Deshalb sollte die Entscheidung für oder gegen AI stets technologieoffen und problemorientiert erfolgen. Die Implementierung eines AI-Modells ist kein einmaliger Entwicklungsschritt, sondern erfordert laufende Pflege, Überwachung und gegebenenfalls Nachjustierung. Diese betrieblichen Anforderungen sind Teil der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und müssen im Verhältnis zum erwarteten Nutzen stehen.
Erst wenn diese grundsätzlichen Fragen beantwortet sind, lohnt sich der nächste Schritt. Dabei geht es um die Einordnung des jeweiligen Prozesses in eine systematische Kategorie, um das Potenzial von AI differenziert einschätzen zu können.
Dabei hilft die Einordnung in vier typische Prozesskategorien:

Diese Einordnung schafft Orientierung und ermöglicht eine systematische Priorisierung. Gleichzeitig unterstützt die Kategorisierung eine technologieoffene Entscheidungsfindung.
Entscheidend ist, dass Technologieentscheidungen nicht ausgehend vom verfügbaren Tool getroffen werden, sondern ausgehend vom konkreten Problem und der strukturellen Analyse des jeweiligen Prozesses. Erst wenn Nutzen, Umsetzbarkeit und Nachhaltigkeit im Zusammenspiel bewertet wurden, ergibt sich ein tragfähiger Weg zur Optimierung – mit oder ohne den Einsatz von AI.
5.3 Ziele und Kennzahlen definieren und Wirkung konkretisieren
Jede AI-Initiative sollte mit einer klaren Zielsetzung beginnen. Es muss definiert werden, was genau erreicht werden soll. Geht es um eine Steigerung der Effizienz, eine Verbesserung der Qualität, eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit oder um eine Entlastung im Hinblick auf regulatorische Anforderungen? Nur wenn die Zielsetzung konkret formuliert ist, lässt sich im weiteren Verlauf auch bewerten, ob und in welchem Ausmass die angestrebte Wirkung tatsächlich erzielt wurde.
Gleichzeitig ist es essenziell, geeignete Kennzahlen zur Erfolgsmessung festzulegen. Solche Key Performance Indicators (KPIs) können zum Beispiel Durchlaufzeiten, Bearbeitungsquoten, Fehlerraten, Rückfragenquoten oder Kundenzufriedenheitswerte sein. Wichtig ist, dass diese Kennzahlen bereits zu Beginn erhoben und dokumentiert werden. Diese sogenannte Nullmessung bildet die Ausgangslage, gegen die später die Wirkung der umgesetzten AI-Lösung verglichen werden kann. Ohne diese Ausgangsbasis bleibt unklar, ob eine Verbesserung tatsächlich eingetreten ist oder lediglich vermutet wird.
Neben der Zieldefinition und der Wirkungsmessung ist auch die Wirtschaftlichkeit der Lösung zu betrachten. Hierbei reicht es nicht aus, nur den initialen Aufwand für die Entwicklung und Einführung des AI-Modells zu berücksichtigen. Ebenso relevant sind die Kosten für die Pflege, Wartung und Weiterentwicklung des Modells im laufenden Betrieb, wie bereits unter 5.2 beschrieben. Nur wenn der erwartete Nutzen die Gesamtkosten übersteigt, ist die Lösung wirtschaftlich sinnvoll.
Frühzeitig definierte Zielgrössen auf Basis fundierter Prozesskennzahlen helfen somit auf mehreren Ebenen: Sie geben Orientierung für die Entwicklung, schaffen Klarheit bei der Entscheidungsfindung und bilden die Grundlage für eine glaubwürdige Bewertung der Wirkung im operativen Alltag.
5.4 Umsetzungslogik wählen und strukturiert vorgehen
Der Weg von der Idee zum Produktiveinsatz von AI erfolgt in drei aufeinander abgestimmten Phasen: Validate, Enable und Execute.
- Validate bedeutet, dass ein enger, gut definierter Anwendungsfall unter realen Bedingungen getestet wird. Ziel ist nicht, ein perfektes Modell zu bauen, sondern die grundlegende Funktionsweise zu prüfen. Es geht darum, Annahmen zur Prozesslogik, zur Datenverfügbarkeit und zur erwarteten Wirkung zu validieren. Diese Phase stellt sicher, dass die Lösung im gegebenen Umfeld grundsätzlich tragfähig ist. Proof of Concepts wirken als Risikominimierer für das Umsetzungsprojekt.
- Enable beschreibt die Phase, in der tragfähige Ansätze auf weitere Prozesse, Bereiche oder Kanäle ausgeweitet werden. Dabei werden technische Standards definiert, Governance-Strukturen aufgebaut und die Wiederverwendbarkeit der Lösung sichergestellt. In dieser Phase geht es darum, eine solide Grundlage für Skalierung und Betrieb zu schaffen, ohne die Kontrolle über Qualität und Sicherheit zu verlieren.
- Execute schliesslich steht für die vollständige Integration der Lösung in den operativen Alltag. Dies umfasst die Einbettung in bestehende Systeme, klare Verantwortlichkeiten und eine verlässliche Steuerungslogik. Erfolgsfaktoren in dieser Phase sind insbesondere ein professionelles Change-Management, gezielte Schulungsprogramme und eine transparente Kommunikation.
Diese Umsetzungslogik ist universell anwendbar, unabhängig davon, in welcher Prozessgruppe der Einstieg erfolgt. Sie stellt sicher, dass AI-Lösungen nicht nur technisch funktionieren, sondern auch nachhaltig Wirkung entfalten.
5.5 Erfolgsbedingungen schaffen, Umsetzung absichern
AI-Projekte wirken nur, wenn sie organisatorisch getragen, methodisch gesteuert und diszipliniert umgesetzt werden. Dafür braucht es:
- Ownership auf Fachbereichsseite, nicht nur technische Projektleitung
- Zugängliche, strukturierte Daten, die fachlich verstanden, gepflegt und korrekt sind
- Interdisziplinäre Teams, die Fachlogik, Datenkompetenz und IT verbinden
- Regelmässige Review- und Anpassungsschleifen, die Lernprozesse und die Aktualität der AI sichern
Gerade in beaufsichtigten oder komplexen Expertenprozessen sind diese Voraussetzungen oftmals nicht optional. Diese sie sind jedoch zwingend, um das Risiko zu beherrschen und Vertrauen aufzubauen.
5.6 Typische Fehler vermeiden, Konsequenz durchhalten
Erfolgreiche AI-Initiativen scheitern selten an fehlender Technologie, sondern an Fehlentscheidungen im Prozess:
- AI wird auf unklare, instabile oder unnötig komplexe Prozesse angewendet
- Ziele werden nicht sauber definiert und die Wirkung bleibt unmessbar
- Datenlage wird überschätzt und Modelle bleiben «blind»
- Umsetzung bleibt im Silo und die Skalierung ist nicht möglich
- Hype um AI-Einsatz überwiegt und die Wirtschaftlichkeit wird vernachlässigt
- Ethische Fragen und Anforderungen werden nicht bedacht
- Betrieb und Change Management werden nicht bedacht
Konsequentes Prozessdenken, messbare Ziele und strukturiertes Vorgehen sind deshalb keine Optionen – sie sind die Grundbedingungen für jeden produktiven AI-Einsatz.
6. Schlusswort: Operative Exzellenz braucht keine Visionen. Sondern Konsequenz.
AI verändert, wie Unternehmen Prozesse denken, gestalten, verbessern und steuern. Doch sie ist kein Selbstläufer oder gar Allheilmittel. Ihre Wirkung entsteht nur dort, wo Struktur, Klarheit und Führung zusammenkommen. Was technisch möglich ist, ist operativ oft irrelevant, wenn Prozesse nicht vorbereitet, Daten nicht nutzbar und Ziele nicht definiert sind.
Die in diesem Whitepaper vorgestellte Systematik zeigt, worauf es bei wirkungsvollen AI-Initiativen ankommt. Im Mittelpunkt steht eine fundierte Priorisierung entlang strategischer Relevanz, Prozessreife und Datenverfügbarkeit. Entscheidend ist nicht, was technologisch möglich ist, sondern was einen messbaren Beitrag zur Zielerreichung der Organisation leistet. Wirkung entsteht dort, wo Prozesse geschäftskritisch, strukturiert und datenbasiert führbar sind. Ergänzend sind ethische und regulatorische Anforderungen zu berücksichtigen, insbesondere bei automatisierten oder personalisierten Entscheidungen. Erfolgreiche AI-Projekte sind fachlich verankert, strategisch ausgerichtet und als gemeinsames Vorhaben der Organisation verstanden.
Es geht nicht darum, möglichst viel zu automatisieren, sondern das Richtige. Nicht darum, neue Technologien einzuführen, sondern vorhandene Strukturen wirksam weiterzuentwickeln. Wer den Anspruch hat, AI sinnvoll einzusetzen, braucht kein Innovationslabor, sondern ein Framework, das Wirkung ermöglicht.
Nur wenn Technologie auf Klarheit trifft, entsteht Fortschritt. Und nur wenn Umsetzung strukturiert erfolgt, wird aus Potenzial tatsächlicher Mehrwert.
Quellen:
(1) Boston Consulting Group, AI Adoption in 2024: 74% of Companies Struggle to Achieve and Scale Value, 2024
(2) OST – Ostschweizer Fachhochschule & Swiss FinTech Innovations, Künstliche Intelligenz in Schweizer Finanzinstituten: Ein skalierbares Framework zur erfolgreichen KI-Implementierung, 2025
(3) FINMA-Aufsichtsmitteilung 08/2024: Governance und Risikomanagement beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz, 18. Dezember 2024
Wer wir sind?
Fabian Meier und Sajis Subramaniam stehen für die Expertise und Dynamik von Vee Partner. Mit über 15 Jahren Erfahrung in Top-Management-Beratung begleitet Fabian Meier Unternehmen bei Entwicklung und Transformation. Sajis Subramaniam unterstützt Organisationen bei strategischen Transformationen mit Fokus auf vertriebliche Exzellenz. Vee Partner ist eine junge Unternehmensberatung mit Wurzeln in der klassischen Strategieberatung und der Leidenschaft, individuelle Lösungen für nachhaltiges Wachstum zu gestalten.
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